Was macht ein Turmfalke in der Wohnung?

Der Dresdner Friseurmeister Falk Döhler rettete einem Vogel mit viel Zeit und Liebe das Leben. Dank Kükenbeinen, Pinzette und sehr toleranter Ehefrau.

Falk und Falke beisammen

Falk und Falke beisammen
© Henry Berndt
Vor dem ausgestopften Waldkauz hat der junge Turmfalke keine Angst.
© Henry Berndt

Ein Artikel von Henry Berndt

Eigentlich hatte er keine Chance. Bei weit über 30 Grad kauerte der kleine Turmfalke verletzt in einer Kellerfensternische. „Eine Stunde länger und sein Kreislauf wäre zusammengebrochen“, sagt Falk Döhler. Der ist hauptberuflich Friseurmeister in Dresden, kümmert sich aber seit inzwischen 17 Jahren auch mit großer Leidenschaft um hilfsbedürftige Greifvögel in seiner Nachbarschaft.

An jenem Tag im Juli fanden zwei junge Frauen den kleinen Turmfalken an der Lommatzscher Straße. Über die Greifvogelhilfe Sachsen bekamen sie Falk Döhler ans Telefon und brachten das Tier zu ihm nach Hause nach Pieschen. „Es ging um jede Minute“, sagt Döhler. Ein anderer Jungvogel war unterdessen auf der Straße bereits von einem Auto erfasst worden. Offenbar war der Nachwuchs aus Verzweiflung aus dem Nest gesprungen, weil es unter dem Dach schier zu heiß geworden war, vermutet er. Während der Vogel zu ihm gebracht wurde, zerteilte Döhler schon Küken in winzige Stücken. Für Notfälle wie diesen hat er immer ein paar in der Tiefkühltruhe.

Eine Etage über seiner Eigentumswohnung hat er sich unsanierte Räume gemietet, die er gern seinen „Hobbykeller“ nennt. Hier oben bringt Falk Döhler regelmäßig in Not geratene Wildvögel unter, die noch nicht in eine große Voliere oder gar in die Freiheit entlassen werden können.

Der Bettelruf des Falken schallt durch den Hausflur. „Ein gutes Zeichen“, sagt Döhler. Sein Schützling hat Hunger. Regelmäßig kontrolliert er das Gewicht des Vogels. Solange er langsam aber stetig zunimmt, ist alles bestens.

Drinnen im Zimmer sitzt der Turmfalke oben auf einer Schrankwand und guckt neugierig, was sein Retter ihm da so Schönes vorbereitet. Neben Küken ist er vor allem auf Mäuse aus. Meist hat der Falke in der Wohnung „Freiflug“, bekommt Sonnenlicht durch den verglasten Balkon und darf nach Herzenslust alles vollkacken. Das Zeitungspapier in seiner offenen Holzkiste wird viermal täglich gewechselt. Vogelschreie, Dreck, Geruch – „Meine Frau ist da einiges gewöhnt“, sagt Döhler und lacht laut los, um dann sanft hinterherzuschicken: „Wenn ich mal nicht da bin, kümmert sie sich selbst liebevoll um die Tiere.“

Nun kann natürlich nicht jeder einfach im Wald oder auf der Straße einen Igel, ein Eichhörnchen oder einen Falken aufsammeln und mit nach Hause nehmen. Die Haltung von Wildtieren ist in Deutschland grundsätzlich verboten, es sei denn, es gibt gute Gründe dafür. Falk Döhler ist Mitglied der Greifvogelhilfe Sachsen und erfahren im Umgang mit schwachen und verletzten Tieren. Dennoch muss für die Behörden in jedem Einzelfall nachvollziehbar sein, wo, wann und warum er welches Tier in seine Obhut genommen hat.

Nun also der Turmfalke. In den ersten Stunden schob Döhler seinem Schützling winzige Kükenstückchen mit einer Holzpinzette in den Schnabel. „Da muss man unheimlich vorsichtig sein, weil die Zunge nicht brechen darf“, sagt er. Inzwischen ist der Falke über den Berg und schnappt sich die Kükenbeine immerhin schon im Flug von Döhlers Handschuh. Erst wenn er gelernt hat, seine Beute selbst zu schlagen, kann er ausgewildert werden. Außerdem muss er bis dahin noch vom Menschen entwöhnt werden und lernen, Gefahren zu erkennen. Bisher sitzt der Kleine mit Vorliebe auf dem Schrank unter einem ausgestopften Waldkauz, dem er in der Natur lieber aus dem Wege gehen sollte.

Flupp, da fliegt ein plüschiges Bällchen hinunter. Das rausgewürgte Gewölle besteht aus Haaren und Federn. Regelmäßig sammelt Döhler die Bällchen vom Stäbchenparkett auf. Die Mäuse fängt er selbst mit Lebendfallen auf seinem 2.500 Quadratmeter großen Grundstück in der Heide. Zum Haareschneiden kommt der Friseurmeister in diesen Tagen dagegen kaum. Anfangs musste sein Vogel alle vier Stunden fressen. Nachts stellte Döhler sich den Wecker und tapste verschlafen die Stufen hoch. Tierliebe kennt keinen Feierabend.

Falk Döhler weiß aber selbst am besten, dass der Vogel lieber heute als morgen aus der Wohnung raus sollte. Bereits in den kommenden Tagen soll er in eine Auswilderungsvoliere auf dem Gelände der Greifvogelhilfe in Weinböhla umziehen. „Und wenn er erst einmal in Freiheit ist, dann weiß ich, wofür ich das alles getan habe.“

Die Greifvogelhilfe Sachsen bekommt keine Förderung. Unterstützt werden kann sie am besten mit Nüssen und altem Brot sowie Gutscheinen für Zoohandlungen, abzugeben in Döhlers Salon „Haar-Mode-Team“, Rankestraße 18.